Stuhlinkontinenz (anale Inkontinenz)

Stuhlinkontinenz (Darminkontinenz, anorektale Inkontinenz, anale Inkontinenz, fäkale Inkontinenz) ist entsprechend der WHO-Definition die erlernte Fähigkeit, „Stuhlgang willentlich ort- und zeitgerecht abzusetzen", nicht mehr ausüben zu können. Als Stuhlinkontinenz bezeichnet man die Unfähigkeit, seinen Stuhlabgang oder Darmgase willkürlich zurückzuhalten.

Bei Kindern bezeichnet man die entsprechende Problematik als Enkopresis.

Die Stuhlinkontinenz kann angeboren oder erworben sein. Sie betrifft Menschen aller Altersgruppen, kommt aber häufiger bei älteren Menschen vor.

Ursachen der Stuhlinkontinenz

Es gibt zahlreiche mögliche Ursachen für eine Stuhlinkontinenz:

  • Schädigung des Schließmuskels,
    die unter anderem auftreten kann nach:
    • Geburtstraumata
      (Einriss des Schließmuskels)
    • Operation
      (u. a. Tumor-, Fistel- oder Hämorrhoiden-Operation)
    • Analprolaps
      (Vorfall des Analkanals oder Enddarms)
    • Beckenbodenschwäche
      Nachlassende Gewebespannung und Nachlassen der Kraft des Schließmuskels u. a. auch nach mehreren Geburten, starkem Übergewicht oder durch Alter
  • Gestörte Reservoirfunktion
    z. B. durch chronisch entzündliche Darmerkrankungen wie Morbus Crohn oder Colitis ulcerosa oder nach Tumoroperationen.
  • Nervenschäden
    (neurogene Ursachen)
  • z. B. bei neurologischen Erkrankungen wie
    • multipler Sklerose
    • Parkinson
    • Demenz
    • Schlaganfall
    • Bandscheibenvofall
    • Querschnittslähmung
  • psychische Ursachen
  • Verstopfung
    (chronische Obstipation)
  • Missbrauch von Abführmitteln
    (funktionelle Störung)

Häufigkeit der Stuhlinkontinenz

Da das Thema Stuhlinkontinenz hochgradig tabuisiert ist, gehen nur wenige der Betroffenen wegen ihrer Beschwerden zum Arzt. Die veröffentlichten Fallzahlen unterscheiden sich daher erheblich.

Wir dürfen davon ausgehen, dass zwischen zwei und zwanzig Prozent der Erwachsenen mehr oder weniger von der Stuhlinkontinenz betroffen sind – das Risiko steigt mit zunehmendem Alter.

Dass Frauen wesentlich häufiger von einer Stuhlinkontinenz betroffen sind als Männer – nämlich etwa vier- bis achtmal häufiger –, mag zum einen an den anatomischen Gegebenheiten liegen (der Analkanal ist bei Frauen kürzer), zum anderen aber auch daran, dass die Stuhlinkontinenz häufig die Folge von Geburtstraumata ist.

Psychosoziale Aspekte der Inkontinenz

Die Erkrankung hat einen sehr starken Einfluss auf die Lebensqualität und führt nicht selten zu Berufsverlust sowie familiärer und sozialer Isolation, so dass neben einer proktologischen Behandlung häufig auch eine psychiatrische oder psychologische Hilfe angeraten ist.

Die Patienten geben an, aufgrund ihrer Beschwerden traurig, nervös, ängstlich und deprimiert zu sein. Häufig berichtet wird von Scham, Peinlichkeit, Ängsten und Unsicherheiten, aber auch von der Sorge über die Erreichbarkeit einer Toilette. Häufig beklagt werden weiterhin die eingeschränkte Mobilität und Flexibilität, die soziale Isolation und mangelnde Akzeptanz der Außenwelt, Einschränkungen in der Freizeit sowie der Mehraufwand bei der Hygiene.

Symptome

Die Symptome der Stuhlinkontinenz sind u. a.

  • Stuhlschmieren (Verschmutzung der Unterwäsche)
  • nicht rechtzeitiges Erreichen der Toilette
    mit und ohne Wahrnehmung des Stuhldranges
  • vollständiger Ausfall der Stuhlkontrolle

Diese Symptome können unterschiedlich stark ausgeprägt sein und auch in Kombination mit den folgenden Symptomen auftreten:

  • Durchfall
  • Verstopfung (Obstipation)
  • Blähungen
  • Magenkrämpfen
  • Blasenkontrollstörungen

Schweregrad der Stuhlinkontinenz

Es gibt verschiedene Verfahren, den Schweregrad der Stuhlinkontinenz zu beschreiben. Die anale Stuhlinkontinenz kann grob eingeteilt werden in:

  • Stuhlinkontinenz Stufe 1
    Unfähigkeit, Winde zurückzuhalten
  • Stuhlinkontinenz Stufe 2
    Unvermögen, flüssigen Stuhl zurückzuhalten
  • Stuhlinkontinenz Stufe 3
    Unfähigkeit, geformten Stuhl zurückzuhalten

Da nicht nur die Beschreibung der Symptome, sondern auch die Häufigkeit der Ereignisse eine wesentliche Rolle für die Beeinträchtigung im Alltag gibt, gibt es verschiedene weiterführende Fragebögen zur Klassifizierung des Schweregrades einer Stuhlinkontinenz.

CCS-Inkontinenz-Score
(Jorge/Wexner-Inkontinenz-Score 1993)

InkontinenzepisodenHäufigkeit
nieSelten: seltener als einmal im MonatManchmal: häufiger als einmal im MonatHäufig: häufiger als einmal in der WocheImmer: meist täglich
Wie häufig verlieren Sie unkontrolliert festen Stuhl?01234
Wie häufig verlieren Sie unkontrolliert flüssigen Stuhl?01234
Wie häufig verlieren Sie Winde (Luft)?01234
Wie häufig tragen Sie eine Vorlage?01234
Wie häufig beeinflussen Ihre Stuhlprobleme Ihre Lebensgewohnheiten?01234

Je höher die Punktzahl, umso schwerer die Stuhlinkontinenz.

Cleveland Clinic Incontinence Score

Gas (Blähungen)Flüssiger StuhlFester StuhlVorlagenwechsel
Gelegentlich1471
Mehr als 1x/Woche2582
Täglich3693

Perfekte Kontinenz = 0 Punkte
gute Kontinenz= 1-7 Punkte
moderate Inkontinenz= 8-14 Punkte
schwere Inkontinenz= 15-20 Punkte
totale Inkontinenz= 21 Punkte

CACP-Kontinenz-Score
Der CACP-Kontinenz-Score wurde von der Chirurgischen Arbeitsgemeinschaft für Coloproktologie entwickelt und ist eher auf Beckenbodenfunktionsstörungen ausgelegt.

1. Wie oft hatten Sie in den letzten 2 Wochen Stuhlgang?1-2/Tag (2)3-5/Tage (1)Mehr als 5 (0)
2. Welche Konsistenz hat Ihr Stuhl überwiegend?Geformt (2)Breiig (1)Flüssig (0)
3. Verspüren Sie Stuhlgang?Gut (2)Schlecht (1)Nicht (0)
4. Können Sie Winde, flüssigen und festen Stuhlgang unterscheiden?Gut (2)Schlecht (1)Nicht (0)
5. Wie rasch müssen Sie nach Stuhldrang zur Toilette?Minuten (2)Sekunden (1)Sofort (0)
6. Wie oft finden Sie Stuhl in Ihrer Unterwäsche?Nie (4)1-2/Monat (3)1-2/Woche (2)> 3/Woche (1)jeden Tag (0)
7. Wie oft finden Sie die Unterwäsche verschmiert (sog. Bremsspuren)?Nie (2)Gelegentlich (1)Regelmäßig (0)
8. Nehmen Sie Medikamente/Diät zur Stuhlregulation?Ja (1)Nein (0)

Je mehr Punkte in der Addition, desto besser die Kontinenz der Person.

Diagnostik

Spezialisiert auf die Behandlung von Stuhlinkontinenz ist der Proktologe, der sich auf das medizinische Fachgebiet rund um den Enddarm spezialisiert hat (Grimmdarm, Mastdarm und Analkanal).

Nach einer ausführlichen Anamnese – Beschreibung der Beschwerden und Erläuterung der Krankengeschichte – findet eine körperliche Untersuchung statt. Der Patient legt sich hierfür mit angezogenen Beinen seitlich auf die Liege.

Tasten: Bei der rektalen Untersuchung tastet der Arzt mit dem Finger den Enddarm.

Proktoskopie/Rektoskopie: Mit Hilfe eines Proktoskops kann sich der Arzt den Enddarm anschauen (Proktoskopie) oder sie/er schaut noch weiter oben auch den Mastdarm (Rektum) an (Rektoskopie).

Manometrie: Um zu untersuchen, ob und wie der Schließmuskel funktioniert, kann eine Druckmessung (Manometrie) durchgeführt werden.

Darüber hinaus können weitere bildgebende Untersuchungsmethoden sinnvoll werden, wie z. B.

  • Ultraschalluntersuchung
  • Röntgenuntersuchung (mit einem Kontrastmittel)
  • Magnetresonanztomographie (MRT).

Therapie der Stuhlinkontinenz

Die Therapie der Stuhlinkontinenz basiert auf dem individuellen Krankheitsbild und der jeweiligen Ursache der Beschwerden. Es gibt für die Therapie der analen Inkontinenz verschiedene Möglichkeiten:

  • Hilfsmittel
    So genannte aufsaugende Hilfsmittel wie z. B. Vorlagen, Netzhosen, Stuhlauffangbeutel, Betteinlagen oder Analtampons gehören in jedem Fall begleitend zur Therapie dazu.
  • Stuhlregulation
    An erster Stelle der Therapie der Stuhlinkontinenz steht die Stuhlregulation mit dem Ziel, Durchfall und Verstopfung zu beseitigen und für einen regelmäßigen Stuhlgang zu sorgen. Oftmals hilft es, wenn die Ernährung umgestellt wird. Ein höherer Anteil an Ballaststoffen und die Einnahme von Quellmitteln in der Nahrung kann zur Stuhlregulation beitragen.
  • Toilettentraining
    Mit Hilfe des Toilettentrainings soll erreicht werden, dass die Betroffenen regelmäßig auf die Toilette gehen. Es werden praktische Erleichterungen besprochen, wie z. B. dass nachts ein Toilettenstuhl neben das Bett gestellt wird, um weite Wege im Halbschlaf und im Dunklen zu vermeiden.
  • Beckenbodengymnastik
    Ein erschlaffter äußerer Schließmuskel kann möglicherweise mit Beckenbodengymnastik wieder gefestigt werden.
  • Biofeedback
    Mit Hilfe von Biofeedback können der Muskel gestärkt und der Darm trainiert werden.
  • Sakrale Neuromodulation (SNS)
    Bei Nervenschädigung als Ursache der Stuhlinkontinenz kommt die sakrale Nervenstimulation (sakrale Neuromodulation, Interstium-Therapie) infrage, bei der ein kleiner Schrittmacher (Darmschrittmacher) implantiert wird, der die noch intakten Nervenenden des Schließmuskels mit schwachen elektrischen Impulsen stimuliert, so dass sich der Schließmuskel zusammenzieht und den Stuhl zurückhält. Die Erfolgsrate bei dieser Therapie liegt bei etwa 85 %.
  • Operation
    In seltenen Fällen kann in einer Operation ein Schließmuskel ersetzt werden. Hierbei wird der defekte Schließmuskel durch ein Stück Muskel aus dem Oberschenkel oder einen künstlichen Schließmuskel ersetzt. Wenn auch dies keine Aussicht auf Erfolg bietet, kann eine Kolostomie durchgeführt werden – das ist eine Operation, bei der der Darmausgang zu einem künstlichen Darmausgang (Anus praeter) verlegt wird und die Stuhlausscheidung in einen speziellen Beutel (Stoma) stattfindet.
  • Perianale injizierbare Füllstoffe
    Bei einer leichten Inkontinenz kann ein Therapieversuch mit Füllstoffen erwägt werden. Hier werden Füllstoffe wie Silikon, Kollagen oder Hyaluronsäure (Bulking Agents) eingesetzt, die zur Verstärkung des Schließapparates injiziert werden. Die Erfolgsrate liegt bei bis zu 50 %

Tipps

  • Ernährungsumstellung (gerade bei Durchfällen oder Verstopfung)
  • Vermeidung von Tee oder Kaffee, weil diese Getränke zur Entspannung des Schließmuskels beitragen können.

Letzte Änderung: 05.12.2021

Autoren
Dr. med. Peter Nagel

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Dr. med. Peter Nagel

Facharzt für Innere Medizin/Gastroenterologie

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Dr. med. Tilo Mackenroth

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Dr. med. Matthias Mordeja

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Dr. med. Matthias Mordeja

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